Kurznachrichten | Nachrichtendienste | Allg. Nachrichten Freitag, 25.Oktober 2002 Biobanken, Chance für den wissenschaftichen Fortschritt
Datenschützer warnen vor Missbrauch genetischer Daten
Solch eine heftige Reaktion hatte die hessische Datenschützerin
Rita Wellbrock nicht erwartet. Vor den gravierenden Folgen
gigantischer Datensammlungen in zentralen Biobanken hatte sie
gewarnt und deshalb differenzierte Gesetze gefordert. Forscher
antworteten mit scharfem Protest. „Das ist pharisäerhaft",
empörte sich etwa Stefan Schreiber vom Deutschen
Humangenomprojekt (Universität Kiel), "Gesunde entscheiden
über das Persönlichkeitsrecht von Kranken."
"Biobanken, Chance für den wissenschaftlichen Fortschritt oder
Ausverkauf der ,Ressource' Mensch" hat der Nationale Ethikrat
als Thema seiner ersten öffentlichen Jahrestagung in Berlin
gewählt, eine wichtige Konferenz, die an die
Stammzellen-Diskussion im vergangenen Jahr erinnerte.
Zwei Meinungen prallten aufeinander: Das Ziel der Wissenschaftler,
mit Hilfe von großen Biobanken neue Therapien für Erb- und
Volkskrankheiten zu entwickeln; das Veto der Datenschützer, nicht
gegen die Forschung an sich, wohl aber gegen die ethischen Folgen,
gegen die Verletzung der Rechte des Menschen und seiner sensiblen Daten.
Einigkeit bestand in Berlin in einem Punkt: Die Daten müssten
freiwillig an eine Biobank gegeben werden, die Einwilligung gilt
als Voraussetzung. Doch bereits der Londoner Wissenschaftler
Tom Meade, einer der Initiatoren der geplanten britischen
Biobank, machte deutlich, dass die Voraussetzung für eine
Einwilligung sehr unterschiedlich sein kann. Je nachdem, wie man
frage, erhalte man von 30 oder von 70 Prozent die Zustimmung,
sagte er. „Aber wir müssen die gewaltige Chance nutzen und die
Befürchtungen beschwichtigen." Großbritannien will Biodaten von
500000 Bürgern zehn Jahre lang speichern und so ein breites
Spektrum von Krankheiten erforschen. „Wir wollen mehr wissen
über einzelne Gene und den Einfluss von Lebensumständen,
Lifestyle und Umwelt", sagte er. Alle, die mit den Daten arbeiten
wollten, müssten Zugang zur Biobank haben, auch
Unternehmen. Wissenschafler fordern solch große Datensammlungen,
die langfristig Bestand haben, auch in Deutschland. "Wir brauchen eine zentrale
Biobank", sagte Stefan Schreiber, „sie gilt als Hoffnungsträger
der modernen Medizin, als Grundlage zur Erforschung von
Krankheiten." Den Plänen der Wissenschaftler aber stehen die
Grundsätze des Datenschutzes diametral gegenüber. "Ich sehe die großen
Chancen der Forschung, aber ich fordere Ehrlichkeit in der
Diskussion", sagte Rita Wellbrock.
Biobanken entstehen derzeit in vielen Ländern der Erde, in
Estland, auf Tonga, in Großbritannien. In Biobanken werden
Substanzen des menschlichen Körpers auf lange Zeit
gespeichert, DNA, Gewebe, Zelllinien, Blut, außerdem Daten über
Krankheiten oder aus dem Lebensumfeld.
Krankheitsentwicklungen in Familien oder geschlossenen
Bevölkerungsgruppen sollen so erkannt und neue Therapien
entwickelt werden. Island mit seinen 286000 Einwohnern gilt als
optimaler Ort für diese Forschung. Die Insel und ihr
Biobanken-Gesetz sei kein gutes Vorbild, sagte die Philosophin
Sigridur Thorgeirsdottir. In Island gibt es für die Bürger keine
exakten Einwilligungsregeln. Wer nicht dezidiert ablehnt, dessen
Daten werden gespeichert. Die Lizenz für die Daten aller Bürger
erhielt ein Gentech- Unternehmen, es will die Bioinformationen
an die Pharmaindustrie oder das Gesundheitsmanagement
verkaufen. Diese Firma ist im Herbst in finanzielle Schwierigkeiten
geraten. Was geschieht bei einer Pleite mit den Daten? "Ich
habe das Vertrauen in die Bioethik verloren", sagte Sigridur
Thorgeirsdottir.
Biobanken bedeuteten eine
besondere Gefährdung des Persönlichkeitsrechts. Im Gegensatz
zu den geltenden rechtlichen Bestimmungen für die Forschung
gibt es beim Projekt Biobanken keine gezielte wissenschaftliche
Fragestellung, keinen begrenzten Zeitrahmen mit anschließender
Vernichtung der Daten. Die Zusicherung, die Daten zu
anonymisieren, greife nicht. "Eine absolute Anonymisierung von
Blut- und Gewebeproben ist nicht möglich", sagte Wellbrock, "es
bleiben Risiken der Rückverfolgung."
Blut und Gewebeproben ließen sich leicht beschaffen, die daraus
gewonnenen, genetischen Daten hätten eine besondere
Qualität, mit gravierenden Folgen für die Betroffenen, warnten
Rita Wellbrock und die Hamburger Wissenschaftlerin Ingrid
Schneider. Angaben über die Anlage zu Krankheiten können
Diskriminierung und Stigmatisierung bedeuten, etwa beim
Arbeitgeber, bei Versicherungen, bei der Vergabe von
Hypotheken – die Liste ließe sich lange fortsetzen.
Konsequenzen können die Verweigerung des
Versicherungsschutzes oder eines Arbeitsplatzes sein.
Es gerät so das Recht des Einzelnen auf Nichtwissen möglicher
künftiger Krankheiten in Gefahr. Wenn die Daten einer Person
miteinander verknüpft werden, die der Gene oder die des
Lifestyles – die Genbanken im Ausland setzen dies voraus –,
dann können Persönlichkeitsprofile hergestellt werden, mit allen
Folgen der gesellschaftlichen Kontrolle. Nicht nur der Einzelne,
auch Bevölkerungsgruppen könnten pathologisiert und
stigmatisiert werden. Befürchtet wird etwa eine soziale
Typisierung oder eine "genetische Ethnisierung". Der Staat,
warnte Ingrid Schneider, habe Interesse an den Daten, bei
ausbleibenden Unterhaltszahlungen oder in der
Verbrechensfahndung. "Die Unschuldsvermutung würde durch
einen Generalverdacht abgelöst, es entstünde ein gläserner
Bürger."
Der Vorsitzende des Nationalen Ethikrats, der Jurist und
Datenschützer Spiro Simitis forderte präzise Gesetze. Sie
müssten über das im Koalitionsvertrag angekündigte
Gentest-Gesetz hinausgehen. Die Vorstellungen, die die
Datenschützer dazu äußerten, sind sehr präzise: dezentrale
Biobanken, in denen nicht alle Daten verknüpft würden, zeitliche
Begrenzung der Forschung und thematische Zielrichtung. Jeder
Betroffene müsse eine „informierte Einwilligung" geben, eine Art
Vertrag abschließen, pauschale Einwilligungen genügen nicht.
Jeder Betroffene müsse das Recht haben, sein Plazet
zurückzunehmen und seine Daten löschen zu lassen,
Selbstbestimmungsrecht, so hieß es in Berlin, bedeute, dass man
Entscheidungsfreiheit über die Zukunft habe. Simitis schlug vor,
analog zum Patientengeheimnis ein Forschergeheimnis
einzuführen, das den Schutz der Daten garantiert. Den
Wissenschaftler gingen diese Forderungen zu weit, da sie die
Forschung verhinderten.
Wem gehören nun die Gene: dem Spender, dem Wissenschaftler,
dem Pharmaunternehmen, das die neuen Therapien vermarktet?
Für Simitis gibt es keinen Zweifel: „Es ist selbstverständlich, dass
mein Blut und meine Daten mir gehören." Eine Bezahlung der
Spender aber, da war man sich in Berlin weitgehend einig, wäre
der falsche Weg. Dies würde eine Lawine ins Rollen bringen,
beispielsweise die kommerzielle Organspende installieren. „Was
für ein Selbstverständnis haben wir als Gesellschaft", fragte
Simitis, „wenn wir anfangen, uns zu zerstückeln und zu
verkaufen?" Ingrid Schneider schlug vor, von der Industrie einen
Anteil des Gewinns zu verlangen und in einen
Patientenschutz-Fonds fließen zu lassen: zur Erforschung
seltener Krankheiten, die von der Industrie vernachlässigt
werden.
Der Nationale Ethikrat will im kommenden Jahr eine
Stellungnahme zum Thema Biobanken verabschieden. Bis dahin
aber wartet noch viel Arbeit auf ihn: Es geht bei diesem Thema,
auch das hat die Tagung deutlich gemacht, nicht allein um
Biobanken und die Folgen für den Datenschutz, sondern um alle
Sammlungen von Gewebe- und Blutproben, ob Krebsregister,
Blut- oder Organbanken. Die Diskussionen des Ethikrats werden
künftig öffentlich sein – ein wichtiger Schritt bei diesen brisanten
gesellschaftspolitischen Themen. Der Ethikrat hat die
Transparenz geschaffen, die er von der Forschung fordert. (Quelle: sz)
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