zurück | Ticker | Kurznachrichten | Medien-Nachrichten | Allg. Nachrichten Mi.09.10.2002 Eins rechts, eins links
Der Vorlauf zur ersten rot- grünen Bundesregierung war die
Hamburger Bürgerschaftswahl Ende 1997. Die krachende
Niederlage von Henning Voscherau brach auch die interne
SPD-Blockade gegen Rot-Grün. Dieses Vorspiel zum Bonner
Machtwechsel hatte ich, Hamburger in Hamburg, erstmals für das
ZDF als Analyst – wie man jetzt sagt – politologisch analysiert.
Das gefiel beim ZDF und so habe ich seitdem, mit kleineren
Unterbrechungen, für das Zweite Wahlen, gelegentlich auch
Parteitage von SPD und Grünen, kritisch begleitet.
Auch diesesmal sollte ich die Bundestagswahl analysieren. Im Juli
bekam ich eine schriftliche Einladung. Man habe, hieß es, Roland
Koch und Siegmar Gabriel, den Bild-Kolumnisten Graf Nayhauß
und Prof. Karl- Rudolf Korte eingeladen. Ich nahm wahr, dass
man sich bei den Nicht-Politikern auf einen Machtwechsel
vorzubereiten schien, ahnte aber nicht, dass man vorhatte, die
von mir bisher wahrgenommene Analystenrolle im Proporz
einzumauern.
Das erfuhr ich erst, als ich um den Sendeplan bat. Da fand ich
eine neuartige „Expertenrunde" mit Graf Nayhauß, Prof. Korte
und mir. Über Graf Nayhauß möchte ich im Zusammenhang mit
der geforderten Expertenrolle nichts sagen. Prof. Korte schätze
ich als jüngeren Kollegen, der mir aber bislang nicht als
Parteienforscher aufgefallen war. Er arbeitet zum Beispiel eng
mit der Hanns-Seidel-Stiftung der CSU zusammen; offenkundig
wurde er vom Sender insgesamt dem Unionsbereich
zugerechnet. Damit wurde nicht nur er, sondern auch ich selbst
zum Proporz-Professor gemacht. Wichtig war offenkundig die
Zurechnung: eins rechts, eins links. Da ich dem
Binnenpluralismus nicht im Wege stehen wollte, es aber für
abwegig hielt, die wahlbegleitende Analystenrolle im Proporz
aufzusplitten, sagte ich ab.
Offene Flanken
Verhandlungen bis hin zum Chefredakteur zeigten: Graf Nayhauß
stand zur Disposition (den könne man auch in der
Reichstagskuppel interviewen), aber Korte müsse bleiben.
Unabhängig davon hatte Wolf von Lojewski angefragt, ob ich am
Wahlabend für das Heute-Journal zu einem Interview über den
Wahlausgang zur Verfügung stehe. Wie jahrelang praktiziert,
hatte ich gern zugesagt. Das galt, bis Chefredakteur Nikolaus
Brender auch hier intervenierte. Es gehe nicht an, erläuterte er
mir, dass ich „als Einzelner" in einer Nachrichtensendung meine
Meinung sagte. Dann stünden „die Flanken offen".
Das kann man nur verstehen, wenn man einen zweiten
Handlungsstrang dieser öffentlich-rechtlichen Geschichte kennt.
Markus Söder, lernte ich, ist Vorsitzender der
CSU-Medienkommission sowie Mitglied im ZDF-Fernsehrat, und
dort – in der Nachfolge von Winfried Scharnagl – als politischer
Treuhänder von Edmund Stoiber aktiv. Er hatte alle
Unterschriften unter einem rot-grünen Wahlaufruf gelesen, der
am 3. August 2002 in der Frankfurter Rundschau erschienen war.
Diesen Aufruf hatten Erhard Eppler, Jürgen Habermas, Ulrich
Beck, manche andere und eben auch ich unterschrieben.
Zunächst intervenierte Söder beim Chefredakteur des ZDF und
dann so plump über die Nachrichtenagentur dpa, dass Brender
mich verteidigen musste. Der CSU-Mann hatte über die dpa ein
„Auftrittsverbot für ‚parteiische Wahlexperten' im Fernsehen"
gefordert – und dabei mich genannt. Die Sender seien
verpflichtet, hieß es bei ihm, „auch bei der Auswahl von
Interviewpartnern sorgfältig und ausgewogen zu recherchieren".
Die Frankfurter Neue Presse vom 14. August zitierte ihn, unter
Nennung meines Namens, mit dem Satz: „Solche trojanischen
Pferde gehören weg vom Bildschirm."
Was lehrt diese Marginalie im Räderwerk großer Apparate über
Parteifernsehen und die Rolle politologischer Analysten? Ein klein
wenig Zeit und Unabhängigkeit sind Mindestvoraussetzungen.
Schon das ist schwer genug zu erreichen – man lässt sich immer
auf ein extrem zugespitztes Sendezeitproblem ein, wenn man
beim Fernsehen mitspielt. Immer ist man geplagt von dem
Dilemma, für viele nichts oder für wenige etwas zu sagen. Im
Für-viele-nichts-Fernsehen sind die Analysten einfach Teil eines
Arrangements, bei dem Gängiges und nicht zu Tiefgründiges
auch noch einmal durch einen fiktiven Experten gesagt wird.
Fiktiv deshalb, weil er im Rahmen der eingeräumten Soundbites
inhaltlich gerade nicht den Experten, sondern – bestenfalls – den
Common sense-Mann im Gewand des Experten geben kann.
Entscheidend ist die eingeblendete Unterzeile: Professor XY,
Politikwissenschaftler. Zur Vermehrung von Einsichten kann
solche dekorative Verwendung von Expertise nicht dienen.
Minuten-Minimum
Bemüht man sich – oft mehr schlecht als recht – dem extremen
Zeitdruck etwas abzuringen, was die politikwissenschaftliche
Herkunft inhaltlich gerade noch erkennbar macht, braucht man
wenigstens die Sicherheit eines Minuten-Minimums. Wenn dieses
noch im Proporz verteilt und gebrochen werden soll, ist die Idee
eines wissenschaftlichen Analysten am Ende.
Das andere ist die Unabhängigkeit, die sich nur aus dem, was
man sagt, ergeben kann. Parteipolitisch trug ich –
jahrgangsbedingt – noch das Bild vom ZDF als CDU-Fernsehen
mit mir herum, das in den 60er Jahren durch
Gründungsgeschichte und Richtungskontrast zur ARD verbreitet
war. Vier Jahrzehnte später und von innen betrachtet, stellt es
sich anders dar: Professionalisierung, Ablaufdiktate,
Entpolarisierung – in dieser Richtung, dachte ich, lägen die
Gründe für parteipolitische Abschleifung.
Die Unabhängigkeit der Redaktion des Heute-Journals
beispielsweise hatte ich nachdrücklich erfahren. Ob mit Wolf von
Lojewski, Alexander Niemetz, Marietta Slomka – immer hatte ich
das Gefühl, als allseits kritisch gefragt zu sein. Es war bekannt,
dass ich auch ein kritischer Grünenbegleiter bin, hatte ich doch
über sie und die SPD Bücher geschrieben, hatte sie in Fernsehen
und Hörfunk analysiert. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, als
rot-grüner Proporz-Analyst eingeordnet zu werden. Schon
deshalb nicht, weil ich SPD und Grüne wahrscheinlich härter
kritisiert habe als die Parteien rechts der Mitte .
Vorauseilender Gehorsam
Parteien sind Steuerungsakteure des Fernsehens. Wenn es
besonders gut für sie läuft, müssen sie gar nichts tun. Dann erledigt
der vorauseilende Gehorsam der im Sender installierten
„Redaktionsleiter" bereits ihr Geschäft. Zum Beispiel, wenn eine
schwarz-gelbe Mehrheit schon vor der Wahl sicher zu sein scheint.
Dennoch wachen die Parteiakteure unablässig. Und mischen sich ein
– meist hinter den Kulissen.
Bei der jüngsten ZDF-Intendantenwahl, als die
Einmischungsmaschine der Parteien über Monate stotterte, entstand
Transparenz unfreiwillig aus Uneinigkeit. Jetzt, da offensichtlich die
Wahl des ZDF-Programmdirektors nicht nach sachlich-fachlichen
Gesichtspunkten (Hans Janke), sondern nach parteipolitischen
Kriterien (ein CDU-Mann) entschieden werden soll, sieht man
wieder jenen Partei-Interventionismus am Werke. Dessen
Fernwirkungen gehen auch in die kleine Geschichte ein, die ich hier
erzählt habe.
Das Parteifernsehen mit den Parteien hinter dem Sender ist offenbar
nicht totzukriegen. Es gibt allerdings keinen vernünftigen Grund,
dabei zu sein.
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