Pädogische
polis
"Laborschule"
in Bielefeld:
Leben
und Lernen ohne Zensuren und "Sitzenbleiben"
"Noten
sind die einzige Möglichkeit für die LehrerInnen, die SchülerInnen
zu dem zu zwingen, was sie und die Kultusbeamten sich ausgedacht haben."
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"Sie
fragen ihre Lehrer: Warum? und Wozu? und prüfen die Antworten ohne
Respekt." 2
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Um neue Wege des Lernens
zu lehren und zugleich zu erproben entstand vor fünfundzwanzig
Jahren in Bielefeld auf Initiative des Pädagogen Hartmut von Hentig
die "Laborschule". Das Prinzip dieses wissenschaftlichen
Versuchsprojektes ist es, ein Ort zu sein, "wo Kinder und Jugendliche gern
Leben und Lernen". Ihnen sollen "wichtige Grunderfahrungen ermöglicht
werden, die viele sonst nicht machen würden. Leben und Lernen sollen
eng aufeinander bezogen werden." Der Unterricht folgt dem Prinzip, Lernen
an und aus der Erfahrung (und nicht primär aus Belehrung)". Die Schüler
lernen nicht nur, sondern praktizieren auch gesellschaftliches Miteinander.
Von Hentig hat den Begriff der Schule als Polis dafür geprägt.
"Schüler übernehmen Verantwortung, sei es für jüngere
Mitschüler oder auch nur für die Hamster im Kleintierzoo".
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"Die Schule will die
Unterschiede zwischen den Kindern bewußt bejahen und als Bereicherung
verstehen. Daraus ergibt sich eine weitgehende Individualisierung des Unterrichts,
die Rücksicht auf ihre individuell verschiedenen Bedürfnisse
und Fähigkeiten nimmt. Niemand wird ausgesondert. Es gibt keine geschlossenen
Klassen, es gibt kein Sitzenbleiben und keine Zensuren. LaborschülerInnen
leben und lernen gemeinsam in leistungs-, teilweise auch altersheterogenen
Gruppen, in denen sie ihr Lerntempo selbst finden. Statt portionierten
Lernstoff zu pauken, arbeiten die Lerngruppen selbständig an Projekten.
"Sie lernen ihre Fähigkeiten einzuschätzen, nicht indem sie ihre
Leistung daran messen, ob ihre Mitschüler besser oder schlechter
sind, sondern daran, ob sie ihr selbstgesetzes Ziel erreicht haben".
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Schule als Gesellschaft
im Kleinen: Die Schule versteht sich zugleich als Gemeinschaft aller in
ihr tätigen Personen, die einander in ihrer Unterschiedlichkeit akzeptieren
und achten. Die Verhaltensweisen, die von erwachsenen BürgerInnen
unserer Gesellschaft erwartet werden, sollen hier im Alltag gelernt werden:
das friedliche und vernünftige Regeln gemeinsamer Angelegenheiten.
Solches Lernen geschieht durch Verantwortung und Beteiligung. In dieser
Gesellschaft im Kleinen lernen die Einzelnen, für übernommene
Aufgaben und zunehmend auch für den eigenen Lernweg verantwortlich
einzustehen. "
Dieser neue
Weg des Lernens, steht völlig im Widerspruch zum gesellschaftlichen
Trend, Kinder zu Humankapital zu degradieren. 3
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Die Laborschule ist staatliche Versuchsschule
des Landes Nordrhein-Westfalen und zugleich wissenschaftliche Einrichtung
der Fakultät für Pädagogik an der Universität Bielefeld.
Sie hat insgesamt 660 SchülerInnen (60 je Jahrgang). Sie nimmt
Kinder aus ganz Bielefeld mit fünf Jahren nach einem Aufnahmeschlüssel
auf. Dieser gewährleistet eine Schülerpopulation, die der gesellschaftlichen
Schichtung entspricht. Weitere Aufnahmekriterien sind: Ausgewogenheit der
Geschlechter, Entfernung zwischen Wohnung und Schule, soziale Härtefälle.
Die Laborschule ist als Gesamtschule besonderer Prägung konzipiert,
als eine Schule für alle Kinder ohne jegliche Selektion nach Leistungen.
Sie ist eine Ganztagsschule. Nach dem 10. (in Ausnahmefällen nach
dem 9. Schuljahr) vergibt die Schule die für Gesamtschulen üblichen
Abschlüsse: Hauptschulabschluß oder Fachoberschulreife, letztere
bei entsprechenden Leistungen mit dem Qualifikationsvermerk, der zum Besuch
der gymnasialen Oberstufe berechtigt.
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An die Laborschule schließt sich das "Oberstufenkolleg"
an , eine Einrichtung, die sich eng am amerikanischen Colleg orientiert
und einen gleitenden Übergang an die Universität darstellen soll,
eine vorwissenschaftliche Phase zur Einübung akademischer Praktiken.
Das Kolleg verbindet die gymnasiale Oberstufe mit dem Grundstudium zu einer
neuen, eigenen Stufe im Bildungssystem. Nach vier Jahren Kolleg hat der
Absolvent einen dem Abitur gleich gestellten Abschluß, der ihn für
ein Hauptstudium in seinem im Kolleg studierten Fach qualifiziert.
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"In den ersten drei Schul-Jahren leben und lernen
die 5- bis 8jährigen zusammen. Die Kleineren lernen von den Größeren
und nicht nur von den Erwachsenen. Jedes Kind lernt nach seinem eigenen
Arbeitsrhythmus, ohne Zeit-, Leistungs- und Zensurendruck. Ganzheitliches
Leben und Lernen „am Tag entlang": Für die Kinder dieser Altersstufe
gibt es keinen Stundenplan. Der Unterricht ist ungefächert. Der Tageslauf
folgt einem Rhythmus, der den Bedürfnissen der Kinder Rechnung trägt.
Auch im 3. und 4.Schuljahr erfolgt ein offener
Unterricht: Beim Lernen und Üben der Kulturtechniken werden den Kindern
Angebote und Hilfen entsprechend ihren unterschiedlichen Fähigkeiten
und Bedürfnissen geboten Projekte: Ein großer Teil der Schulzeit
dient dem ganzheitlichen, praktischen Lernen in Form von Gruppen- oder
Jahrgangsprojekten , deren Ergebnisse öffentlich vorgestellt werden
(Beispiele: Zirkusaufführung, öffentliche Lesung selbstgeschriebener
Märchen und Geschichten, Theaterrevue, Film, Produktvorführung
...)
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Alle Kinder lernen vom 3. Schuljahr an Englisch in
altersgemäßer Form: spielend, agierend, kommunizierend ...
Der Unterricht ist im 5. bis 7. Schuljahr immer
noch nicht in Fächer gegliedert, sondern in größere Einheiten,
aus denen diese später hervorgehen:
Umgang von Menschen mit Menschen (Sozialwissenschaft);
Umgang mit Sachen: erfindend, gestaltend, spielend (Künste); beobachtend,
messend, experimentierend (Naturwissenschaft);
Umgang mit Gedachtem, Gesprochenem und
Geschriebenem (Sprache/n, Mathematik); Umgang mit dem eigenen Körper
(Sport und Spiel).
Angebotsdifferenzierung: An die
Stelle von Leistungsdifferenzierung tritt an der Laborschule die der Angebote.
Vom 5. Schuljahr an können die Kinder Französisch oder Latein
als 2.Fremdsprache lernen. Französisch wird noch einmal ab Jg. 7 angeboten
(„Spätbeginn"). Parallel zur 2. Fremdsprache werden Kurse in praktischem
Lernen angeboten. Alle SchülerInnen können in „Wahlgrundkursen"
ihre besonderen Fähigkeiten und Neigungen erproben und ausbilden.
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Der Unterricht in Erfahrungsbereichen
und Fächern ist zum großen Teil zu übergreifenden, mehrwöchigen
Einheiten zusammengefaßt, die oft Projektform haben. Die Angebotsdifferenzierung
in Wahl- und Leistungskursen erlaubt den Jugendlichen unterschiedliche
Profilierungen. Als gleichrangige Angebote gibt es neben den klassischen
„Hauptfächern" auch Technik, Sport, Kunst, Theater ...
Einblicke in Arbeitswelt und Wirtschaftsstruktur:
LaborschülerInnen machen im 8. - 10.Schuljahr drei Praktika: Im 8.
Schuljahr sind sie drei Wochen in einem Produktionsbetrieb, im 9. in einem
Dienstleistungsbetrieb, im 10. zwei Wochen in einem Betrieb eigener Wahl
und eine Woche in der Schule, die sie später besuchen werden.
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LaborschülerInnen fertigen in den oberen Jahrgängen
insgesamt drei größere theoretische oder praktische Arbeiten
an. Die Wahl des Themas und eines betreuenden Erwachsenen sowie die eigenständige
Ausführung gehören zu dieser Aufgabe.
Im 9. Schuljahr verbringen LaborschülerInnen
drei Wochen in einem europäischen Land, wo Englisch die gemeinsame
Verständigungsbasis ist. Für weitere drei Wochen sind ihre PartnerInnen
in der Laborschule. Darüber hinaus können LaborschülerInnen
auf freiwilliger Basis weitere Lernerfahrungen im Ausland machen.
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1 Susanne Thurn, Schulleiterin
an der Laborschule Bielefeld in einem taz-Interview vom
31.08.1999
2 Hartmut von Hentig,
Gründer der Laborschule, in seiner Festansprache zum
25jährigen Jubiläum
der Experimentierschule (veröffentlicht in der FR v.10.9.1999)
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3 Quellen: taz, 31.08.99;
Die Zeit, 09.09.99; FR, 10.09.99;
und Selbstdarstellung der Laborschule 1999
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