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. .."Recht gebeugt, verdreht und letztlich gebrochen"
.    19.12.1999:
  PATENT AUF LEBEN:
  Bricht das Europäische Patentamt (EPA) geltendes Recht?
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   München (boa) - Ein von der Münchner Initiative "Kein Patent auf Leben!" in Auftrag gebenes Gutachten bescheinigt dem Europäischen Patentamt (EPA) Kompetenzüberschreitung  und möglicherweise Rechtsbruch. Der Verwaltungsrat des EPA hatte am 16.Juni durch eine Ausführungsverordnung verfügt, daß Leben ab dem 1.September patentierbar sein sollte.  "Kein Patent auf Leben!" vermutet, daß dieser Beschluß auf Druck der Industrie erfolgte.

Zentraler Untersuchungsgegenstand des seit 2.November vorliegenden Gutachtens der Münchner Kanzlei Bauer + Balogh  war die Frage, ob der Verwaltungsrat zu dieser Änderung, bzw. Neufassung im Rahmen von 
Artikel 33 des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ) befugt ist "oder 
ob in diesem Falle nicht eine Konferenz der Vertragsstaaten des EPÜ zur Entscheidung berufen wäre". 

Schlußfolgerung: 
Die Ausführungsverordnung des EPA-Verwaltungsrates vom 16.Juni verstößt gegen die eigenen rechtlichen Grundlagen. "Hier wird Recht gebeugt, verdreht und letztendlich gebrochen", so Dr. Linde Peters von "Kein Patent auf Leben!" in einer Pressemitteilung  vom 08.November 1999. "Wir fordern die deutsche Justizministerin auf, tätig zu werden und ihre Stimme im Verwaltungsrat des Amtes zu nutzen, um die skandalöse Entscheidung zu korrigieren." Das von der Initiative an die Ministerin gesandte Gutachten zeigt inzwischen  Wirkung:
Nachdem auch Greenpeace den Patentierungs-Beschluß des EPA "für einen Verstoß gegen geltendes Recht" hält und sich deshalb an das Justizministerium gewandt hat, teilte die Bundesministerin für Justiz, Dr. Herta Däubler-Gmelin, in ihrem Antwortschreiben  mit, daß die Entscheidung des Europäischen Patentamtes, Patente auf Leben zu erteilen, ohne Rechtsgrundlage sei.

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"Wegen Rechtsbruch geschlossen"
Am gestrigen Freitag haben Greenpeace-Aktivisten den Eingang des Europäischen Patentamtes in München mit einem Bretterzaun versperrt.
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. Daten, Fakten, Hintergründe:
Der Beschluss, Patente auf Leben zuzulassen

   Am 16. Juni 1999 verfügt der Verwaltungsrat des EPA eine Änderung der 
Ausführungsbestimmungen des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ). 
Damit hat der Verwaltungsrat seine Kompetenz überschritten, was ein von der 
Initiative "Kein Patent auf Leben!" in Auftrag gegebenes Gutachten bestätigt.

Die Regeln über die Kompetenz des Verwaltungsrates unterscheiden sorgfältig 
zwischen der Berechtigung
1. entweder bestehende Texte nur zu ändern oder
2. Texte zu ändern  u n d  neu zu erlassen.

Das ist unterschiedlich geregelt, je nachdem worum es sich handelt, z.B. um 
Einspruchsfristen, Gebühren - oder eben um die Ausführungsbestimmungen. 
Und hierfür besagt das Gesetz ausdrücklich, dass nur Änderungen zulässig sind.

Tatsächlich wurde am 16. Juni aber die Einfügung eines ganzen Kapitels 
beschlossen, das aus mehreren Abschnitten (Regeln) und diese wiederum jeweils aus mehreren Unterabschnitten bestehen. Alles Gesetze zur Regelung der Patentierung von Leben. Das ist ein Neuerlass, über den nur von der Konferenz der Vertragsstaaten mit einer Dreiviertel-Mehrheit entschieden werden darf.

Die Neuregelung soll die unter Beschuss geratene frühere Auslegungspraxis 
ersetzen. Damit wären Patente auf Leben erlaubt und nicht mehr anfechtbar.
 

Ein früher "Link" zwischen Patentgesetzgeber und Industrie

Rechtliche Grundlage für die Arbeit des Europäischen Patentamtes (EPA) ist das Europäische Patentübereinkommen (EPÜ). Bei der Erschaffung des EPÜ gab es noch keine Gentechnik. Als die neue Technologie auf der Bildfläche erschien, zeigte sich, dass das EPÜ einen Paragraphen (genannt Artikel) enthielt, der den Patentwünschen der Gentechniker im Wege stand, der vielzitierte Artikel 53b.

Schon bald trat die Industrie in Aktion. In einem Brief vom Juli 1987 macht die 
Firma Bayer der EU-Kommission ganz konkrete Vorschläge, wie, bitteschön, der missliche Artikel im Sinne der Industrie gehandhabt werden könne.
Zwei Vorgehensweisen seien möglich:
1. entweder, die entsprechenden Gesetze zu verändern, aber das würde zu viel Zeit kosten, oder
2. die gegenwärtigen Gesetze zu verwenden und für die neuen Forschungser- gebnisse zu interpretieren. Hierzu wurden wiederum konkrete Vorschläge gemacht. Laut Text seien nur Pflanzensorten von der Patentierung ausge- schlossen, höhere Gruppen, wie Pflanzenfamilien, könnten demnach 
patentiert werden. Dass Pflanzenfamilien Sorten enthalten, ja geradezu aus vielen Sorten bestehen, störte offenbar nicht. Am Schluss des Briefes hiess es: "Das könnte praktisch alle gentechnischen Verfahren abdecken."

Genau diese Argumentation wurde - Zufall oder nicht - viele Jahre lang 
verwendet - bis zu dem von Greenpeace erstrittenen Urteil im Jahre 1995. Und der Wunsch, diese Kontroverse um den Artikel 53b endlich ein für alle Mal 
auszuräumen, ist der Grund für den Rechtsbruch des EPA am 16. Juni 1999.
 

Die ganz besonderen Verdrehungen des Europäischen Patentamtes

Die mit den Industrie-Interessen konforme, wortakrobatische Auslegungspraxis war bis 1995 in Gebrauch. Von da ab war sie durch das von Greenpeace 
erstrittenes Urteil ausser Kraft gesetzt. Seit dem Zeitpunkt wurden bis zum 
September dieses Jahres keine Patente auf Leben mehr erteilt. Dieses 
Urteil wurde vom Konzern Novartis angefochten und die letztinstanzliche Entscheidung hierüber wird von der Grossen Beschwerdekammer des 
Patentamtes für nächstes Jahr erwartet.

Der nichtrechtmässige Beschluss vom 16. Juni 1999 nimmt jedoch diese 
Entscheidung vorweg, denn der Beschluss erklärt die umstrittene 
Auslegungspraxis der Jahre vor 1995 für gültiges Recht, so dass eine 
Entscheidung zugunsten von Greenpeace gar nicht mehr möglich wäre. 
Ausserdem, so liess das EPA verlauten, seien die Ausführungsbestimmungen - und damit auch der Beschluss vom Juni - für die Beschwerdekammer bindend. Ein Blick in die Gesetzestexte zeigt jedoch, dass eine Bindung nur bei Übereinstimmung mit dem Hauptteil des Gesetzes gilt. Diese Übereinstimmung wurde aber durch den Juni-Beschluss aufgehoben. Allenfalls liesse sich eine Übereinstimmung herbeiführen, wenn man auf die Auslegungen von vor 1995 zurückgreift, aber über die soll die Beschwerdekammer ja erst noch entscheiden! 
 

Das Europäische Patentamt (EPA) weiss, dass es illegal handelt

Das EPA scheint zu wissen, dass sein Vorgehen illegal ist. So schreibt es in 
seiner Hauszeitschrift, dem Amtsblatt, der Verwaltungsrat hätte "eine umfassende Kompetenz zum Erlass und zur Änderung der Ausführungsordnung" und bezieht sich dabei auf den Artikel 33(1)b der Ausführungsordnung, für den das ausdrücklich nicht zutrifft! Und weiter: "Es handelt sich dabei nicht um eine blosse Ermächtigung zur näheren Regelung bestimmter Sachverhalte..., sondern um eine Generalzuständigkeit zur vertragsergänzenden Rechtssetzung. ...Die breite Rechtssetzungsbefugnis ist gewollt und notwendig." Das ist eindeutig unrichtig, sowohl nach dem Buchstaben des Textes, als auch nach dem Willen der ursprünglichen Verfasser. 

Der Rechtsanwalt Michael Bauer, Autor des von der Initiative "Kein Patent auf 
Leben!" in Auftrag gegebenen Gutachtens hat die Enstehungsprotokolle studiert und kommt zu einem diametral entgegengesetzten Urteil: "Das Ergebnis der Beratung war schliesslich, dass eine umfassende Kompetenz des Verwaltungsrates zur Beschlussfassung und Verabschiedung der 
Ausführungsordnung gerade nicht gewollt war. ... Bewusst sollte der 
Verwaltungsrat im Rahmen des Artikels 33 EPÜ nicht die Kompetenz zur 
Änderung patentrechtlich bedeutsamer materieller Regelungen erhalten."

Bereits ein Jahr zuvor, im November 1998 hiess es im Amtsblatt: "Offen 
erscheint denn auch, ob nicht eine Revision des Europäischen Patentüberein- kommens durch eine Konferenz der Vertragsstaaten ... notwendig ist, um Rechtssicherheit zu schaffen." Es sei "eher fraglich, ob eine blosse Änderung der Ausführungsordnung, zu der der Verwaltungsrat ... befugt ist, den  Artikeln ... eine andere Bedeutung geben ... könnte."

Fazit: ... denn sie wissen, was sie tun.

.Linde Peters   .
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Weitere Informationen zum Thema und eine
Zusammenfassung des Gutachtens
liefert der Aufsatz "Lizenz zum Patentieren" von Petra C. Fleissner
in den "Umwelt Nachrichten" Heft 85/99 vom 15.12.99, Seite 32
zu beziehen beim:
Umweltinstitut München e.V.
Schwere-Reiter-Str. 35/1b
80797 München

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Der Wortlaut des Gutachtens 
ist ebenfalls über das
Umweltinstitut München beziehbar:
tel.: 089 - 30 77 49 - 14
fax: 089 - 30 77 49 - 20

Das gut lesbare Gutachten eignet sich als 
ausgezeichneteFormulierungshilfe
für Briefe an die Justizministerin
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Die Homepage von "Kein Patent auf Leben!"
http://members.aol.com/KeinPatent
beinhaltet umfangreiche Informationen zum Thema
"Patente auf Tiere und Pflanzen"
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Unter dem Titel 
"Gene, Monopole und Life Industry"
hat Greenpeace eine aktuelle Dokumentation
 zu den weitreichenden Folgen der Patentierung von Leben
herausgegeben.
Greenpeace fordert ein Verbot 
der Patentierung  von Lebewesen und deren Genen.
Die Dokumentation ist im Internet abrufbar unter:
http://www.greenpeace.de

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. Quellen: Umwelt Nachrichten 85/99 v.15.12.99, S.32; Greenpeace und Kein Patent auf Leben!

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