München (boa) - Ein von der Münchner
Initiative "Kein Patent auf Leben!" in Auftrag gebenes Gutachten
bescheinigt dem Europäischen Patentamt (EPA) Kompetenzüberschreitung
und möglicherweise Rechtsbruch. Der Verwaltungsrat des EPA hatte am
16.Juni durch eine Ausführungsverordnung verfügt, daß Leben
ab dem 1.September patentierbar sein sollte. "Kein Patent auf
Leben!" vermutet, daß dieser Beschluß auf Druck der Industrie
erfolgte.
Zentraler Untersuchungsgegenstand des seit 2.November
vorliegenden Gutachtens der Münchner Kanzlei Bauer + Balogh
war die Frage, ob der Verwaltungsrat zu dieser Änderung, bzw. Neufassung
im Rahmen von
Artikel 33 des Europäischen Patentübereinkommens
(EPÜ) befugt ist "oder
ob in diesem Falle nicht eine Konferenz der Vertragsstaaten
des EPÜ zur Entscheidung berufen wäre".
Schlußfolgerung:
Die Ausführungsverordnung des EPA-Verwaltungsrates
vom 16.Juni verstößt gegen die eigenen rechtlichen Grundlagen.
"Hier wird Recht gebeugt, verdreht und letztendlich gebrochen", so Dr.
Linde Peters von "Kein Patent auf Leben!" in einer Pressemitteilung
vom 08.November 1999. "Wir fordern die deutsche Justizministerin auf, tätig
zu werden und ihre Stimme im Verwaltungsrat des Amtes zu nutzen, um die
skandalöse Entscheidung zu korrigieren." Das von der Initiative an
die Ministerin gesandte Gutachten zeigt inzwischen Wirkung:
Nachdem auch Greenpeace den Patentierungs-Beschluß
des EPA "für einen Verstoß gegen geltendes Recht" hält
und sich deshalb an das Justizministerium gewandt hat, teilte die Bundesministerin
für Justiz, Dr. Herta Däubler-Gmelin, in ihrem Antwortschreiben
mit, daß die Entscheidung des Europäischen Patentamtes, Patente
auf Leben zu erteilen, ohne Rechtsgrundlage sei.
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"Wegen Rechtsbruch geschlossen"
Am gestrigen Freitag haben Greenpeace-Aktivisten
den Eingang des Europäischen Patentamtes in München mit einem
Bretterzaun versperrt.
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Daten,
Fakten, Hintergründe:
Der
Beschluss, Patente auf Leben zuzulassen |
Am 16.
Juni 1999 verfügt der Verwaltungsrat des EPA eine Änderung der
Ausführungsbestimmungen
des Europäischen Patentübereinkommens (EPÜ).
Damit hat der Verwaltungsrat
seine Kompetenz überschritten, was ein von der
Initiative "Kein
Patent auf Leben!" in Auftrag gegebenes Gutachten bestätigt.
Die Regeln über
die Kompetenz des Verwaltungsrates unterscheiden sorgfältig
zwischen der Berechtigung
1. entweder bestehende
Texte nur zu ändern oder
2. Texte zu ändern
u n d neu zu erlassen.
Das ist unterschiedlich
geregelt, je nachdem worum es sich handelt, z.B. um
Einspruchsfristen,
Gebühren - oder eben um die Ausführungsbestimmungen.
Und hierfür
besagt das Gesetz ausdrücklich, dass nur Änderungen zulässig
sind.
Tatsächlich
wurde am 16. Juni aber die Einfügung eines ganzen Kapitels
beschlossen, das
aus mehreren Abschnitten (Regeln) und diese wiederum jeweils aus mehreren
Unterabschnitten bestehen. Alles Gesetze zur Regelung der Patentierung
von Leben. Das ist ein Neuerlass, über den nur von der Konferenz der
Vertragsstaaten mit einer Dreiviertel-Mehrheit entschieden werden darf.
Die Neuregelung soll
die unter Beschuss geratene frühere Auslegungspraxis
ersetzen. Damit
wären Patente auf Leben erlaubt und nicht mehr anfechtbar.
Ein früher
"Link" zwischen Patentgesetzgeber und Industrie
Rechtliche Grundlage
für die Arbeit des Europäischen Patentamtes (EPA) ist das Europäische
Patentübereinkommen (EPÜ). Bei der Erschaffung des EPÜ gab
es noch keine Gentechnik. Als die neue Technologie auf der Bildfläche
erschien, zeigte sich, dass das EPÜ einen Paragraphen (genannt Artikel)
enthielt, der den Patentwünschen der Gentechniker im Wege stand, der
vielzitierte Artikel 53b.
Schon bald trat die
Industrie in Aktion. In einem Brief vom Juli 1987 macht die
Firma Bayer der
EU-Kommission ganz konkrete Vorschläge, wie, bitteschön, der
missliche Artikel im Sinne der Industrie gehandhabt werden könne.
Zwei Vorgehensweisen
seien möglich:
1. entweder, die
entsprechenden Gesetze zu verändern, aber das würde zu viel Zeit
kosten, oder
2. die gegenwärtigen
Gesetze zu verwenden und für die neuen Forschungser- gebnisse zu interpretieren.
Hierzu wurden wiederum konkrete Vorschläge gemacht. Laut Text seien
nur Pflanzensorten von der Patentierung ausge- schlossen, höhere Gruppen,
wie Pflanzenfamilien, könnten demnach
patentiert werden.
Dass Pflanzenfamilien Sorten enthalten, ja geradezu aus vielen Sorten bestehen,
störte offenbar nicht. Am Schluss des Briefes hiess es: "Das könnte
praktisch alle gentechnischen Verfahren abdecken."
Genau diese Argumentation
wurde - Zufall oder nicht - viele Jahre lang
verwendet - bis
zu dem von Greenpeace erstrittenen Urteil im Jahre 1995. Und der Wunsch,
diese Kontroverse um den Artikel 53b endlich ein für alle Mal
auszuräumen,
ist der Grund für den Rechtsbruch des EPA am 16. Juni 1999.
Die ganz besonderen
Verdrehungen des Europäischen Patentamtes
Die mit den Industrie-Interessen
konforme, wortakrobatische Auslegungspraxis war bis 1995 in Gebrauch. Von
da ab war sie durch das von Greenpeace
erstrittenes Urteil
ausser Kraft gesetzt. Seit dem Zeitpunkt wurden bis zum
September dieses
Jahres keine Patente auf Leben mehr erteilt. Dieses
Urteil wurde vom
Konzern Novartis angefochten und die letztinstanzliche Entscheidung hierüber
wird von der Grossen Beschwerdekammer des
Patentamtes für
nächstes Jahr erwartet.
Der nichtrechtmässige
Beschluss vom 16. Juni 1999 nimmt jedoch diese
Entscheidung vorweg,
denn der Beschluss erklärt die umstrittene
Auslegungspraxis
der Jahre vor 1995 für gültiges Recht, so dass eine
Entscheidung zugunsten
von Greenpeace gar nicht mehr möglich wäre.
Ausserdem, so liess
das EPA verlauten, seien die Ausführungsbestimmungen - und damit auch
der Beschluss vom Juni - für die Beschwerdekammer bindend. Ein Blick
in die Gesetzestexte zeigt jedoch, dass eine Bindung nur bei Übereinstimmung
mit dem Hauptteil des Gesetzes gilt. Diese Übereinstimmung wurde aber
durch den Juni-Beschluss aufgehoben. Allenfalls liesse sich eine Übereinstimmung
herbeiführen, wenn man auf die Auslegungen von vor 1995 zurückgreift,
aber über die soll die Beschwerdekammer ja erst noch entscheiden!
Das Europäische
Patentamt (EPA) weiss, dass es illegal handelt
Das EPA scheint zu
wissen, dass sein Vorgehen illegal ist. So schreibt es in
seiner Hauszeitschrift,
dem Amtsblatt, der Verwaltungsrat hätte "eine umfassende Kompetenz
zum Erlass und zur Änderung der Ausführungsordnung" und bezieht
sich dabei auf den Artikel 33(1)b der Ausführungsordnung, für
den das ausdrücklich nicht zutrifft! Und weiter: "Es handelt sich
dabei nicht um eine blosse Ermächtigung zur näheren Regelung
bestimmter Sachverhalte..., sondern um eine Generalzuständigkeit zur
vertragsergänzenden Rechtssetzung. ...Die breite Rechtssetzungsbefugnis
ist gewollt und notwendig." Das ist eindeutig unrichtig, sowohl nach dem
Buchstaben des Textes, als auch nach dem Willen der ursprünglichen
Verfasser.
Der Rechtsanwalt
Michael Bauer, Autor des von der Initiative "Kein Patent auf
Leben!" in Auftrag
gegebenen Gutachtens hat die Enstehungsprotokolle studiert und kommt zu
einem diametral entgegengesetzten Urteil: "Das Ergebnis der Beratung war
schliesslich, dass eine umfassende Kompetenz des Verwaltungsrates zur Beschlussfassung
und Verabschiedung der
Ausführungsordnung
gerade nicht gewollt war. ... Bewusst sollte der
Verwaltungsrat im
Rahmen des Artikels 33 EPÜ nicht die Kompetenz zur
Änderung patentrechtlich
bedeutsamer materieller Regelungen erhalten."
Bereits ein Jahr
zuvor, im November 1998 hiess es im Amtsblatt: "Offen
erscheint denn auch,
ob nicht eine Revision des Europäischen Patentüberein- kommens
durch eine Konferenz der Vertragsstaaten ... notwendig ist, um Rechtssicherheit
zu schaffen." Es sei "eher fraglich, ob eine blosse Änderung der Ausführungsordnung,
zu der der Verwaltungsrat ... befugt ist, den Artikeln ... eine andere
Bedeutung geben ... könnte."
Fazit: ... denn sie
wissen, was sie tun.
.Linde
Peters .
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Weitere
Informationen zum Thema und eine
Zusammenfassung
des Gutachtens
liefert
der Aufsatz "Lizenz zum Patentieren" von Petra C. Fleissner
in
den "Umwelt Nachrichten" Heft 85/99 vom 15.12.99, Seite 32
zu
beziehen beim:
Umweltinstitut
München e.V.
Schwere-Reiter-Str.
35/1b
80797
München
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Der
Wortlaut des Gutachtens
ist
ebenfalls über das
Umweltinstitut
München beziehbar:
tel.:
089 - 30 77 49 - 14
fax:
089 - 30 77 49 - 20
Das
gut lesbare Gutachten eignet sich als
ausgezeichneteFormulierungshilfe
für
Briefe an die Justizministerin
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Die Homepage von
"Kein Patent auf Leben!"
http://members.aol.com/KeinPatent
beinhaltet umfangreiche
Informationen zum Thema
"Patente auf Tiere
und Pflanzen"
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Unter
dem Titel
"Gene,
Monopole und Life Industry"
hat
Greenpeace eine aktuelle Dokumentation
zu
den weitreichenden Folgen der Patentierung von Leben
herausgegeben.
Greenpeace
fordert ein Verbot
der
Patentierung von Lebewesen und deren Genen.
Die
Dokumentation ist im Internet abrufbar unter:
http://www.greenpeace.de
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