Gesellschaft und Politik
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Internationale Cyber-Solidarität
Gewerkschaften und Initiativen setzen Multis unter Druck

  Zernan Toledo flößt selbst multinationalen Konzernen Respekt ein. Der 27 Jahre alte Angestellte eines kirchlichen "Arbeiter-Unterstützungzentrums" organisiert Gewerkschaften in Cavite, der Sonderwirtschaftszone südlich der philippinischen Hauptstadt Manilas. Er vertraut dabei nicht nur auf katholische Soziallehre und sozialistische Theorie. Er nutzt Instrumente, die seinen "Vorfahren" in der Arbeiterbewegung nicht zur Verfügung standen: Internet und E-Mail.
  Über das World Wide Web steht das Zentrum in Cavite täglich in Kontakt mit einem globalen Netzwerk von Initiativen und Institutionen. Viele der Fäden laufen beim Asia Monitor Resource Centre in Hongkong (is3.pacifc.net.hk/~amrc) zusammen. Es stellt aktuelle Berichte ins Internet: Erzwungene Überstunden in China, Berufskrankheiten in Vietnam oder Entlassungen von Gewerkschaftern in Bangladesh. Solche Informationen nutzen Arbeitnehmerorganisationen und Entwicklungsinitiativen in Nordamerika, Westeuropa und Südostasien.
  Zu dem Netzwerk gehören ganz unterschiedliche Adressen: Etwa die Internationale Arbeitsorganisation Ilo in Genf (www.ilo.org), die indische Initiative gegen Kinderarbeit Concerned for Working Children (www.workingchild.org) oder das Institut für Ökonomie und Ökumene - Südwind in Siegburg. Die Unterstützung reicht noch weiter: So finanziert das evangelische Missionswerk in Hamburg ein virtuelles Seminar über Konsequenzen der Globalisierung für Gewerkschaften in Asien.
Organisiert wird es von einer Redakteurin in Machester und im Internet präsentiert vom finnischen Entwicklungsministerium.
  Diese Cyber-Internationale kann Druck machen. Etwa über die Clean-Clothes-Kampagne  (www.cleanclothes.ch). Die fordert "gerecht produzierte Kleider" und versteht darunter Waren, die ohne Kinderarbeit, gegen gerechte Bezahlung und fairen Arbeitszeiten hergestellt wurde. Mitglieder der europäischen Kampagne sind Gewerkschaften, kirchliche Gruppen und Fraueninitiativen. Sie kritisieren die großen Handelsunternehmen. Deren Marktmacht halten sie für stark genug, um für die Produktionsverhälnisse in der Dritten Welt geradezustehen.
  Und die Konzerne reagieren. Die Schweizer Handelskette Migros verspricht bis zur Jahresmitte einen Verhaltenskodex, der weltweit soziale Mindeststandards bei den Zulieferern sichern soll.
Auf ein ähnliches Regelwerk hatte sich im vergangenen Jahr der US-Sportwarenhersteller Nike unter dem Druck einer Boykottkampagne (www.corpwatch.org)  in den Vereinigten Staaten festgelegt. Dennoch bleiben die Aktivisten mißtrauisch. Auf ihrer Homepage diskutieren sie, ob Migros auch wirklich alle ihre Forderungen erfüllen wird.
  Dazu gehören die Bezahlung nach gesetzlich oder tariflich festgelegten Mindestlöhnen, Gewerkschaftsfreiheit und andere Grundforderungen von Ilo. Damit müssen sich auch hiesige Handelsriesen wie Karstadt oder Quelle befassen. deshalb arbeitet die Außenhandelsvereinigung des Deutschen Einzelhandels "mit großem Ernst" an einer verbindlichen Grundsatzposition. Geschäftsführer Ralf Lawaczek zufolge wird "ein tragfähiger Rahmen" gesucht, "wie mit Mindeststandards umgegangen werden kann".
Solche Angaben sind für die Cyber-Agitatoren Versprechen, die kontrolliert werden müssen. Dabei hilft den Aktivisten in San Francisco und Siegburg, Honkong und Hamburg, daß ihre Mitstreiter in Managua und Manila heute nur noch ein paar Mausklicks entfernt leben. Angaben von Konzern- oder Verbandszentralen können in wenigen Stunden bestätigt oder dementiert werden. Computer und Telefonanschluß reichen dafür.
  (...)  FR, 9.6.1999
 


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