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Komponisten experimentieren
mit Klängen im Cyberspace
Das Internet erfordert neue musikalische Ausdrucksformen
Kritik am Internet-Sinfonie-Projekt des Bayerischen Musikrates
und ein Beispiel, wie man internetkonform Musik machen kann.
Der
Bayerische Musikrat: Das reimt sich selbst für Musiker auf Senat,
klingt nach Männergremium und Funktionärsverein. Irgendwie überflüssig.
Aber diese Vorurteile sind gemein, und natürlich treffen sie auch
überhaupt nicht zu. Der Musikrat nämlich hat das Internet entdeckt.
Im vergangenen Jahr arbeiteten
- vier vom Bayerischen Musikrat (http://www.fh-hof.de/~bayerischer-musikrat)
ausgesuchte - Komponisten an
einem Gemeinschaftswerk: die erste Internet-Sinfonie. "Vier
zeitgenössische Komponisten" sollten
"als Stellvertreter für vier bayerische Komponistengenerationen des
20. Jahrhunderts in ein Gemeinschaftswerk eingebunden." werden.Genau
genommen ist keiner der ausgesuchten Komponisten bayerischer Herkunft.
Aber es genügte, dass sie hier leben und wirken.
Der 91-jährige Komponist Harald Genzmer gab die musikalischen
Motive für die Sinfonie vor, die die drei jüngeren Komponisten
ausbauten, veränderten und entwickelten. Berthold Hummel machte den
Anfang, Moritz Eggert begann mit dem zweiten, Roland Leistner-Mayer - dem
nach eigenem Bekunden die Computer-Technik "sehr zuwider" ist- mit dem
dritten Satz. Zur öffentlichen Kritik wurden die Parts dann
auf die Web-Site des Musikrats geladen, die den strengen
Charme eines gymnasialen Jahresberichts besitzt. Das Projekt war
als kleines Spiel geplant und wuchs sich zum Monster aus. Know-how und
Etat reichten nicht für eine professionelle Präsentation.
Die Interaktion funktionierte nicht. "Ideal wäre, wenn sich jeder
Musiker sofort, nachdem er in seinem Browser die Seite heruntergeladen
hat, per Mausklick in die Partitur eingreifen kann", sagt Moritz Eggert,
mit 33 Jahren der jüngste unter den teilnehmenden Komponisten und
der Einzige im Quartett mit Interneterfahrung. "Doch es gibt derzeit keinen
gängigen Standard für Notenprogramme, die darüber hinaus
meist 2000 bis 3000 Mark kosten." Der Internetfreak Moritz Eggert vertritt
musikalisch als auch technisch die Avangarde (siehe http://www.moritzeggert.de)
Jeder, der die Komposition
mitgestalten wollte, musste das MIDI- oder MP3-Dokument zunächst in
das Format seines Notenprogramms konvertieren - eine zeitaufwendige Prozedur.
"Das Internet erfordert eine neue Musikform. Eine Sinfonie in dieser Form
wird dem Medium Internet nicht gerecht", meint der Kölner Komponist
Harald Münz, der im Auftrag der "Stiftung Kunst und Kultur des Landes
Nordrhein-Westfalen" ein eigenes Musik-Internet-Projekt konzipiert. Wie
internetkonforme Musik aussehen könnte, weiss der österreichische
Klangwerker Karlheinz Essl. Der Wiener Musikwissenschafler arbeitete bereits
zu Beginn der 80er Jahre am ersten musiktauglichen Computer - einem Atari
mit MIDI-Schnittstelle. Seitdem experimentiert Essl mit Klanginstallationen,
interaktiven Echtzeitkompositionen und schreibt selbst Programme. Klassische
Kompositionsmuster, wie die Sinfonie bezeichnet er als "verstaubte Gattungen,
die in eine andere Zeit gehören". "Vorgefertigte Werke gibt es nicht
mehr. Werk, Interpret und Instrument verschmelzen - im Moment."
Seine sehr gepflegte Homepage
(http://www.essl.at)
ist eine vielgerühmte und beliebte Anlaufstelle der Online-Avangarde,
gleichwohl ist Essl ein entschiedener Verfechter der Live-Konzert-Situation.
"Für mich persönlich ist die Live-Performance und der Ort, wo
sie passiert, eine wichtige Voraussetzung. Internet hat große Möglichkeiten,
weil es eine Verbreitung hat, die Konzerte und Radio nicht haben. Und eine
ganz spezielle Art von Ausdrucksästhetik. Wenn es aber jetzt wirklich
um das Klangerlebnis geht, gilt für mich immer nur der Live-Event.
Nicht einmal das CD-Hören. Das ist für mich immer nur eine Konserve,
ein Abklatsch von etwas anderem. Für mich ist die Live-Situation,
der Kontext, der Raum ganz ausschlaggebend (...)
Wenn ich jetzt ein Stück
ins Internet stelle, das in Echtzeit Klaviermusik generiert, dann abstrahieren
wir von diesem Klavierklang und konstruieren uns ein virtuelles Orchester.
Dies jedoch braucht Erfahrung. Richtig genußvoll kann da allerdings
nur rezipiert werden von einem, der sich mit der Musik seit Johann Sebastian
Bach beschäftigt. (...)". Für echte Interaktivität sei Wissen
und Erfahrung notwendig, so Karlheinz Essl, im Internet bestünde sie
derzeit meist aus nur einigen Wahlmöglichkeiten, die letztlich die
User zu Befehlsausführenden degradiere. Essl arbeitet derzeit - mit
und durch das Internet - an Konzepten, die ihn als Schöpfer in den
Hintergrund stellen und stattdessen die Musiker als eigenständige
Persönlichkeiten am künstlerischen Produkt teilhaben lassen,
Konzepte, die einerseits durch bestimmte Texte oder Graphiken für
eine "kreative Verunsicherung" der Spieler sorgen, andererseits genügend
Freiräume der Gestaltung lassen.
Übrigens: Am 1. Januar
2000 spielten die Hofer Sinfoniker die altbackene Bayerische Internet-Sinfonie
wie gehabt vom Blatt - von der gedruckten Partitur. Mit dabei: eine Web-Kamera,
die das Konzert direkt ins Internet übertrug.
quellen: sz 29.08.99, fr
30.12.99, swf 14.6.99
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