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talk.show im haus
der kunst, münchen
bis 09.01.2000
Der Ausstellungstitel
ist ein populärer Begriff aus der Welt des Fernsehens. Seine wörtliche
Übersetzung erschließt die Dimension, die für die Ausstellung
von zentraler Bedeutung ist: Sprechen. Zeigen. 24 zeitgenössische
Künstler beschäftigen sich mit dem Thema Kommunikation, mit Gelingen
und Scheitern der Verständigung zwischen Menschen heute. Gezeigt wird
ein Spektrum von Arbeiten der neunziger Jahre aus den Bereichen Malerei,
Skulptur, Medienkunst und Rauminstallation. Einen Schwerpunkt bilden Kunstwerke,
die die akustische Dimension der Sprache einsetzen. Ein Drittel der Arbeiten
ist eigens für die Ausstellung entstanden.
Die Verbildlichung
von Sprache spielt in der Kunst des 20. Jahrhunderts eine wesentliche Rolle.
Als Metaphern für den lärmenden Großstadtalltag und als
lautstarker Protest gegen die politischen Verhältnisse fanden Wörter
und Texte Einzug in die Collagen und Montagen der Kubisten (Georges Braque,
Pablo Picasso), Dadaisten (Marcel Duchamp, Kurt Schwitters) und Surrealisten
(René Magritte, Max Ernst). Nach dem Zweiten Weltkrieg setzten sich
vor allem Pop Art (Roy Lichtenstein, Andy Warhol) und Konzeptkunst (Joseph
Beuys, Bruce Nauman) mit dem Vorgang des Sprechens und Mitteilens in einer
von der Massenkommunikation beeinflußten Gesellschaft auseinander.
Hielten
frühere Kunstrichtungen die logische Kommunikation meist für
selbstverständlich, so dominiert heute eine skeptische Grundhaltung
gegenüber sprachlichen Äußerungen und Kommunikationsformen.
Sprache interessiert nicht als geschlossenes ikonografisches System. Im
Spiegel unterschiedlichster Medien wird die Vielfalt ihrer Ausdrucksmöglichkeiten
neu überprüft.
Was etwa
wäre, wenn die Bilder in den Museen plötzlich anfingen, mit den
Besuchern zu reden? Die Gemälde von Rémy Zaugg sind
keine stummen Zeugen, sondern fordern den unmittelbaren Kontakt. Sprachliche
Formulierung und Farbwirkung gehen zum Teil widersprüchliche Verbindungen
ein. Das gesprochene Wort ist unberechenbar. Auch die Wandarbeit von Thomas
Locher bricht mit den Konventionen des Tafelbilds. Unbarmherzig wird
das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland befragt. Der individuelle
Standpunkt ist gefordert. Speziell für TALK. Show hat Adib
Fricke ein Ausstellungsleitsystem geschaffen, das aus Raumbezeichnungen
und den Beschriftungen der ausgestellten Einzelwerke besteht. Fricke imitiert
Praktiken der Werbebranche. Gleichermaßen problematisiert er das
Kommunikationsdesign innerhalb einer Ausstellung. Was ist das Werk ohne
sein Label?
Die dramatische
Welt der Filmtelefonate ist der Ausgangspunkt für die Videoarbeit
von Christian Marclay. Ihm geht es weniger um Filminhalte, sondern
um die Bedingungen eines Mediums, seine Mechanismen, Rituale und Fetischisierungen.
Mit der Allmacht der Fernsehpriester beschäftigt sich Christian
Jankowski. In seiner inszenierten TV-Kommunikation verschränken
sich Hellsicht und Unverständnis. Hinterfragt wird die Wahrhaftigkeit
der Medienwelt. Mit den Orten öffentlicher Kommunikation befaßt
sich auch Heimo Zobernig. Aus dem Zusammenhang genommen und in mehrfacher
Brechung seziert der Künstler den diktatorischen Anspruch unterschiedlicher
medialer Ankündigungsstrategien und ihr Versagen.
Mit Grenzbereichen
des Kommunikationsprozesses beschäftigt sich auf ganz andere Weise
Yana
Milev. Das Auf- und Abblenden ihrer rätselhaften Botschaften veranschaulicht
die Ambivalenz von eindeutiger und zugleich offener Mitteilung.
Die Videoskulptur
von Tony Oursler definiert eine Art Haut, an der sich Kommunikation
bricht und verfügbar macht. Die Individualität der beiden gezeigten
Wesen verschwindet hinter einer Sprache, die nicht die ihre ist.
Das Künstlerduo
Clegg & Guttmann untersucht Kommunikation mit den Methoden der
visuellen Soziologie. Ihre Installation Vérité ist
wie ein Archiv zu benutzen und fungiert als Porträt der Mediengesellschaft.
Mit Symbolwerten
der Unterhaltungsindustrie beschäftigt sich Pietro Sanguineti.
Für die Ausstellung in der Film- und Fernsehstadt hat er eine Bühnenskulptur
entworfen, die selbst eine Kommunikationsstruktur darstellt: Farben, Formen,
Materialien und Mobiliar stehen für Stimmungslagen und Gefühlsebenen.
Das Versprechen von Authentizität und sinnlicher Präsenz bleibt
funkelnder Schein. Auf dieser Bühne finden während der Ausstellung
zahlreiche Begleitveranstaltungen statt. Alle Veranstaltungen und die genauen
Termine sind auf einem gesonderten Blatt aufgeführt, das ab Ende September
erhältlich ist. Christine Hill etwa stellt hier ihr neuestes
Projekt Tourguide? vor, bei dem sie als eine Fremdenführerin
eigenwillig durch die vielsprachige Metropole New York führt. Auch
die Diskussionsveranstaltungen von Hinrich Sachs verstehen sich
als soziale Skulpturen. Sie unterscheiden sich von normalen Talkshows durch
einen reflektierten Umgang mit der öffentlichen Selbstinszenierung
und der Formalisierung des Sprechens.
Das künstlerische
Ausgangsmaterial der Videoarbeiten von Daniel Pflumm bilden Nachrichtensendungen
und Trailer der Produktwerbung. Die starren Dogmen sind aufgelöst
und werden mit einem neuen Rhythmus reanimiert.
Eine
exklusive Expertenrunde hat das Künstlerduo M + M zusammengestellt.
Zwölf Marias der Welt- und Kulturgeschichte antworten auf die Frage:
"Wie entgehen wir der Sintflut?” Die historisch verbürgten Antworten
sind über das öffentliche Telefonnetz abrufbar.
Der groteske
Dialogue
von Mike Kelley läßt Erinnerungen an früheste Kindheitstage
aufleben. Er vereint das Erbarmungswürdige und das Erbärmliche
unserer Kommunikation. In den Joke Paintings von Richard Prince
spiegelt sich das fragwürdige Bild von Normalität, wie es Witze,
Grundelemente unserer Alltagsverständigung, transportieren.
30 Jahre
Fernseherfahrung bilden den Rahmen für die schrillen und farbenprächtigen
Selbstinszenierungen von Pipilotti Rist. Vergeblich schreit und
fleht die Protagonistin ihres Videos um Hilfe und versucht, das Gefängnis
der Emotionen und Phantasien zu verlassen. Im Rahmen von Ausstellungsereignissen
Kommunikation auszulösen, ist das Anliegen von Rirkrit Tiravanija.
Er hat in der Ausstellung Telefone installiert, die unbekannte Besucher
miteinander ins Gespräch bringen können. Der Austausch selbst
bleibt jedoch von der Einsatzbereitschaft des Einzelnen abhängig.
Um die
gemeinsamen Strukturen von Text und Textilien geht es Eran Schaerf.
In seiner Arbeit untersucht er die kommunikativen Signale der Kleidung,
die sogenannten Dress-Codes als entscheidende Parameter der Mitteilung.
Die Installation
von Janet Cardiff besteht aus einem Holztisch mit unsichtbaren Sensoren.
Beim Berühren der Oberfläche raunen Stimmen den Besuchern Geheimnisse
zu.
Mit der
Mehrfachlesbarkeit des sprachlichen Ausdrucks beschäftigt sich Hirsch
Perlman und stellt die Übereinstimmung von Gezeigtem und Bezeichnetem
in Frage.
Sam
Taylor-Wood schließlich setzt sich mit dem Gelingen und Scheitern
unmittelbarer Verständigung auseinander. Das gesprochene Wort und
die nonverbale Kommunikation erweisen sich als gleichberechtigt, auch wenn
die Präsenz der beiden Gesprächspartner neue Schwierigkeiten
birgt.
(text
u.abb.: haus der kunst münchen).
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