Medien
und Mnemosyne
Die
kunstgeschichtliche Erinnerung
und
die neuen Bilder
Während
sich Literatur- und Kulturwissenschaften längst für Film und
Fotographie, Video- und Medienkunst, gar für die Erforschung von Fernsehen
und Werbung geöffnet haben, nimmt die Zunft der Kunsthistoriker solche
Herausforderungen nur in sehr bescheidenem Umfang an. Immerhin versammelten
sich nun Anfang Dezember 1999 in München "die Gutwilligen" des
Fachs, um - gemeinsam mit Literatur- und Filmwissenschaftlern - über
"Medien und Mnemosyne - Die kunstwissenschaftliche Erinnerung und die neuen
Bilder" zu diskutieren. Dabei wurden entscheidende Streitpunkte offengelegt:
In welche Richtung muss sich die Kunstgeschichte erneuern? Wie soll sie
auf die pluralen Zeichenwelten der Gegenwart reagieren, soll sie die "Bilderflut"
abwehren, oder freudig erregt in ihr baden?
Schon
vor zwei Jahren hatte der Berliner Horst Bredekamp angeregt, die Kunstgeschichte
als universale Bildwissenschaft zu begreifen, die nach dem "Visual turn"
eine Art Generalzuständigkeit für Bilder und Symbole beanspruchen
sollte, von den Fernsehvorabendserien über Avangardekunst bis zu den
Bedienungsoberflächen der Computerprogramme. Daran knüpfte Martin
Wanke (Hamburg) an und forderte in München die Ausdehnung der Kunstgeschichte
zur Kulturwissenschaft: Sein Fach solle sich mehr für "die Bilder
des Fernsehens" interessieren, und Ikonographie der Werbung treiben. Peter
Weibel (Karlsruhe) verwies auf die Tatsache, daß nicht nur Medienkunst,
sondern selbst Fotographie und Film bis heute um ihre Anerkennung als Gegenstände
der Kunstgeschichte kämpfen müssen. Mit Warnke teilte Weibel
die Kritik an den Historisten, die das Fach nach wie vor prägen. Weibels
Generalangriff stellte die Berechtigung des Fachs als Ganzes in Frage und
forderte "eine neue Kompetenzverteilung". Die Kunsthstoriker, so Weibel,
"weigern sich, die neuen Produktions- und Rezeptionsbedingungen zu akzeptieren.
(...) Das Restaurative an Kunstgeschichte ist nicht die Beschäftigung
mit alten Bildern. Es ist der Versuch, historische Produktionsbedingungen
der Ölmalerei zum Maßstab heutiger Kunstbetrachtung zu machen."
Anlass
der "Arbeitstagung" war der 75. Geburtstag von Willibald Sauerländer.
Er gestand, dass er hinsichtlich der rasanten Veränderung der öffentlichen
Verständigung über Bilder, "das Handwerkszeug der Kunstgeschichte
radikaler verabschieden würde." Erstaunt und bestürzt resümierte
er den "autonom binnenästhetischen Diskurs" der Tagung und das "selbstgefällige
Palaver des Unbehagens in der eigenen Unwissenschaftlichkeit."
Quelle: FR, 4.12.99
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