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Was
ist der Unterschied zwischen Frauen und Männern?
Wieviel
Gleichheit darf es denn sein, und welche? (...) Nun taucht in der Diskussion
um die Wehrpflicht die Kategorie "Frau" im Singular auf, die sich längst
in einen Plural, in die Vielzahl von Lebensformen und gemischten Identitäten
der Geschlechter, also auch der Männer aufgelöst hat. Natur,
Gleichheit, Differenz und Weiblichkeit - plötzlich und auf einem unbequemen
politischen Feld wird mit Begriffen hantiert, die in der Geschlechterforschung
seit Jahren produktiv wanken, in einer seit Jahrzehnten schillernd weiten
Landschaft der Theorie und Forschung.
Der Protest von schwarzen, lateinamerikanischen und lesbischen Frauen gegen
die vereinheitlichende Kategorie "Frau" machte den Anfang: die Kategorie
entspringe den Köpfen weißer heterosexueller Bürgerlicher
und unterschlage die Vielfalt weiblicher Erfahrung und Unterdrückung.
(...) Die Philosophie Judith Butlers unternahm einen
weiteren Schritt, um die Grenzen zwischen Natur und Kultur aufzuheben und
bestritt grundsätzlich die Tauglichkeit der Kategorien "Frau" und
"Geschlecht". Die Geschlechtsunterschiede hielt sie nicht für natürlich
gegeben, sondern für kulturell hergestellt und durch machtvolle Diskurse
in die Körper eingraviert: "Man kann nämlich den Körpern
keine Existenz zusprechen, die der Markierung ihres Geschlechts vorherginge."
(...)
Viele (...) Faktoren trugen dazu bei, die alte Vorstellung von der Natürlichkeit
der Geschlechter zu Grabe zu tragen: Fortpflanzungstechnologie und Neue
Medien, Kontrazeptiva und der Verzicht vieler Frauen auf Kinder. (...)
Aus dem grundsätzlichen Dilemma aber fand fast niemand heraus: Wie
können Ungerechtigkeit und Benachteiligung von Frauen ein Ende finden,
ohne daß man von ihnen als Frauen, als weibliches Kollektiv spricht
und durch diese Definition die Unterschiede zementiert? Wie kann man an
der Differenz festhalten, ohne sie zum Nachteil der Frauen zu bewahren
oder gar die Benachteiligung zu verschärfen? Denn in der Tat sind
gesetzliche Regelungen zum Schutz von Geburt und Stillzeit oder die strafrechtliche
Verfolgung von Vergewaltigung und Belästigung von anderer Art als
Gesetze, die Frauen an der Ausübung der freien Berufswahl hindern.
Die einen dienen zum Schutz, die anderen dem Ausschluss von Frauen, beide
berufen sich auf die Differenz der Geschlechter. (...)
Eine Hilfe, um aus dem Dilemma von Gleichheit und Differenz herauszufinden,
kommt von unerwarteter Seite: Die "Natur" der Geschlechter ist nicht nur
durch die Verfielfältigung ihrer sozialen Identitäten ebenso
vielfältig geworden. Die "Natur", welche die Frauen vermeintlich auf
Mutterschaft, Haushalt und Fürsorge festgelegt hatte und gern als
Inbegriff des Unveränderlichen galt, erwies sich als veränderlich
und historisch. Die tatsächliche Körperlichkeit kehrte in die
Philosophie zurück, die nun wissen wollte, welche Erinnerungen und
kulturellen Muster die Körper prägen und also die Erfahrungen
bestimmen.
Die
Berliner Professorin Inge Stephan erinnert in der neuen Gender-Zeitschrift
figurationen
daran: Barbara Duden hat vor der "Entkörperung des Subjektes" gewarnt
und Gesa Lindemann vor der "Verdrängung des Leibes". Die Gedächtnisforschung
hebt die Bedeutung des Körpers für die kulturelle Erinnerung
hervor. Der Neurologe Antonio Damasio hat mit seiner Theorie von den "somatischen
Markern" erwiesen, daß Erfahrung, Niederlagen, Schmerz, Erfolg oder
Glück sich im neuronalen Apparat niederschlagen und (...) künftige
Vorlieben, Abneigungen und Ziele der Individuen beeinflussen. (...)
Der Körper trägt Wissen, auch geschlechtlich bestimmtes Wissen,
und dieses Wissen wirkt in die Felder des Politischen und Sozialen hinein.
(...) Die Natur, nun nicht als festlegend Unabänderliches verstanden,
sondern als Erfahrung und Disposition des Sozialen und der Erkenntnis,
ist vom Geschlecht nicht zu trennen. (...)
Die vielfältigen Formen weiblicher und männlicher Erfahrungen
sind durch Gleichstellungsparagraphen nicht auszuradieren, im Gegenteil:
erst unter der Voraussetzung einer rechtlichen Gleichheit, die das Besondere
schützt und ermöglicht, kann die Differenz gedeihen. Im Plural:
Die englische Unterscheidung zwischen equality und sameness
greift heute Herta Nagl-Docekal, Professorin für
Philosophie in Wien, auf, um in der Folge Kants zu fordern: das Recht auf
Individualität müssen alle Menschen gleichzeitig haben. Identisch
sind sie deswegen noch lange nicht. Die Polizistin mit Schlagstock, die
Soldatin, welche traumatisierte Flüchtlingsfrauen betreut, die Kampfjetpilotin
im Mutterschaftsurlaub, die Friseuse mit Aufstiegsträumen und Kinderwunsch,
die Professorin mit Gefährtin und eigenem Kind und die klassische
Hausfrau - sie archivieren Erfahrung, indem sie weiblich sind, irgendwie.
Für die Offenheit einer solche Auffassung vom Geschlecht hat die Philosophin
Iris Young das Wort vom "seriellen Kollektiv" vorgeschlagen, um aus dem
Dilemma der Differenz, dem sich Männer kaum stellen, eine Stärke
zu machen: in ihrem Sinn sind Frauen ein solches "serielles Kollektiv",
nicht festgelegt als eine Gruppe mit allen gemeinsamen Merkmalen, doch
hinreichend ähnlich, um von einem Begriff umspannt zu werden - damit
sie im rechtlichen Sinn unterscheidbar bleiben. Doch sie sind es in einer
Vielfalt, die den Staat dazu leiten sollte, Identitäten nicht festzulegen.
Ein solcher demokratischer Staat, in dem die Identitäten nicht festgelegt
würden, läßt seine Bürger wählen. Jeden freiwillig.
Und er steht wie dieTheorie vor der Aufgabe, welche Iris Young als Ausweg
aus dem Dilemma der Differenz vorschlug: der Aufgabe, ständig zu überprüfen,
"ob Vorgehensweisen, die darauf zugeschnitten sind, soziale Unterschiede
ausgleichend zu berücksichtigen, tatsächlich mehr Freiheit, Gleichheit
und Chancen bieten". (...) 1
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Judith Butler
lehrt Rhetorik an der Universität in Berkeley. Sie ist eine der
interessantesten Theoretikerinnen des Post-Kristeva-Post-Irigaray-Queer-Nation-Feminismus.
In ihrem Buch "Gender Trouble" weist sie auf die Konstruktionen hin,
denen gesellschaftliche Vorstellungen von Geschlechtsidentität unterliegten.
Verkleidet hinter "biologischen Fakten" erscheint Geschlechtszugehörigkeit
als "natürliche", während kulturelle Zeichen verdeckt bleiben,
die "in ritueller Wiederholung" etwa Mädchen zu Mädchen, Jungen
zu Jungen machen.
"Gender Trouble" gibt es in deutscher Übersetzung: "Das Unbehagen
der Geschlechter", Edition Suhrkamp 1722, Suhrkamp Verlag 1991.
"Tatsächlich denke ich, daß wir größtenteils zu
einer Geschlechtsidentität gezwungen werden. Zu einer Geschlechtsreife
gezwungen, aber in der Wiederholung dieser Aufführung (performance)
zeigt sich am Rande die Möglichkeit einer gewissen Art von subversiver
ReSignifikation. Eine Form dieser ReSignifikation kann die hyperbolische
Inszenierung sein und auch verschiedene Arten von strategischer DeFamilialisierung.
Es kann gut sein, daß es immer schwieriger wird, die exakte Trennlinie
zwischen männlich und weiblich zu ziehen."
"Ich zähle mich selbst zu einem Teil des heutigen Feminismus dazu.
Ich bevorzuge jedoch die Art von Feminismus, der eine Verbindung mit der
Schwulen- oder Lesben-Bewegung hat, mit der politischen Opposition gegen
die Zensur von erotischem graphischem Material, gegen Rassismus. Ich schätze
die Darstellung von aggressiver weiblicher Sexualität in den Medien
sehr, und ich muß gestehen, ein Madonna-Fan zu sein. Ich identifiziere
mich nicht mit ihr, aber ich liebe es, ihr zuzusehen. Annie Sprinkle ist
auch eine wichtige Figur, weil sie eine Menge Leuten gezeigt hat, daß
Sex-Arbeit Arbeit ist und daß eine Anzahl von Frauen zu Sex-Arbeit
aus einer Reihe von Gründen gekommen sind. Sie sind nicht willenlose
Werkzeuge oder Sklaven des Patriarchats."
Judith Butler in einem Fax-Interview von 1993. Das komplette Interview
ist im Internet erschienen unter: http://www.thing.de/neid/archiv/1/text/butler.htm
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Herta Nagl-Docekal
Feministische Philosophie.
Ergebnisse, Probleme, Perspektiven
Taschenbuch (2000)
Fischer-TB-Verlag, Frankfurt/Main
ISBN 3596138558
DM 24,90
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