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Ärztekammer verabschiedet Grundsätze zur Sterbehilfe

dpa Köln, 12.09.98 - Trotz massiver Kritik hat die Bundesärztekammer (BÄK) ihre umstrittenen "Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung" am Freitag nach rund einjähriger Diskussion verabschiedet.

 Die Grundsätze sollen Ärzten Entscheidungshilfen im Umgang mit Sterbenden, Tod- und Schwerkranken geben. Politiker von SPD und Grünen und die Deutsche Hospiz Stiftung warfen der Bundesärztekammer vor, damit das Tor zur aktiven Sterbehilfe zu öffnen. BÄK-Vizepräsident Jörg Hoppe verteidigte dagegen das Papier und betonte, daß immer der Wille des Patienten maßgeblich sei.

 In der Richtlinie wird aktive Sterbehilfe strikt abgelehnt, ein Abbruch der Behandlung aber unter bestimmten Umständen zugelassen. So können Ärzte bei Sterbenden oder Todkranken lebensverlängernde Maßnahmen unterlassen oder abbrechen, wenn dies dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht. Dabei wird auch ein Abbruch der künstlichen Ernährung nicht ausgeschlossen.

 Die Kritik entzündet sich vor allem an den Passagen zu nichteinwillungs- fähigen Kranken wie Wachkomapatienten oder extrem geschädigten Neugeborenen, die zwar lebensbedrohlich krank sind, aber nicht zwangsläufig in absehbarer Zeit sterben. So dürfen Ärzte auch lebenserhaltende Maßnahmen unter bestimmten Umständen beenden, vorausgesetzt, dies entspricht dem Willen des Patienten. "Bei einwilligungs- unfähigen Patienten ist die Erklärung des gesetzlichen Vertreters, zum Beispiel der Eltern, des Betreuers oder des Bevollmächtigten maßgeblich", heißt es in den Richtlinien.

 Die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Monika Knoche, kritisierte die Sterberichtlinien als "verfassungsrechtlich hochproblematisch" und "nicht akzeptabel".

 Ähnlich hatte sich zuvor der SPD-Gesundheitspolitiker Wolfgang Wodarg geäußert: Ein Abbruch der Behandlung vor der Sterbephase sei "aktive Sterbehilfe" und führe "zu einer neuen deutschen Euthanasie". Auch die Deutsche Hospiz Stiftung erklärte: "Nichtsterbende werden zu Sterbenden gemacht."

 BÄK-Vizepräsident Jörg Hoppe verteidigte dagegen das Papier und verwies unter anderem auf das Sterbehilfeurteil des Frankfurter Oberlandesgerichts. Grundsätze zur Sterbebegleitung stünden zwischen widerstreitenden Meinungen, zwischen der Forderung nach einem würdigen, selbstbestimmten Tod und der Angst vor ungewolltem Behandlungsabbruch. Das Papier sei eine Handreichung für den Arzt, letztlich sei eine Entscheidung vom Einzelfall abhängig.

 Als Entscheidungshilfe erkennt die BÄK auch Patiententestamente an. In den Grundsätzen wird zudem ausdrücklich betont, daß der Arzt immer die Basisbetreuung sicherstellen muß. Dazu gehören unter anderem "men- schenwürdige Unterbringung, Zuwendung, Körperpflege, Lindern von Schmerzen, Atemnot und Übelkeit sowie Stillen von Hunger und Durst".
 



 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

Die Sterberichtlinie

In der Präambel der Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung heißt es, daß die ärztliche Verpflichtung zur Lebenserhaltung "nicht unter allen Umständen" bestehe. Aktive Sterbehilfe auf Verlangen des Patienten schließt die Bundesärztekammer jedoch aus: "Die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung widerspricht dem ärztlichen Ethos und kann strafbar sein." Die Kriterien für die Sterbebegleitung in Auszügen:

Ärztliche Pflichten bei Sterbenden:

- "Maßnahmen zur Verlängerung des Lebens dürfen in Übereinstimmung mit dem Willen des Patienten unterlassen oder nicht weitergeführt werden, wenn diese nur den Todeseintritt verzögern und die Krankheit in ihrem Verlauf nicht mehr aufgehalten werden kann...

- Eine gezielte Lebensverkürzung durch Maßnahmen, die den Tod herbeiführen oder das Sterben beschleunigen sollen, ist unzulässig und mit Strafe bedroht. Die Unterrichtung des Sterbenden über seinen Zustand und mögliche Maßnahmen muß wahrheitsgemäß sein, sie soll sich aber an der Situation des Sterbenden orientieren und vorhandenen Ängsten Rechnung tragen."

Verhalten bei Patienten mit ungünstiger Prognose:

- "Bei Patienten mit infauster [ungünstiger] Prognose, die sich noch nicht im Sterben befinden, kommt eine Änderung des Behandlungsziels nur dann in 
Betracht, wenn die Krankheit weit fortgeschritten ist und eine  lebenser- haltende Behandlung nur Leiden verlängert...

- Die Entscheidung über Änderung des Therapieziels muß dem Willen des 
Patienten entsprechen."

Ermittlung des Patientenwillens:

- "Bei einwilligungsfähigen Patienten hat der Arzt den aktuell geäußerten 
Willen des angemessen aufgeklärten Patienten zu beachten, selbst wenn sich dieser Wille nicht mit den aus ärztlicher Sicht gebotenen Diagnose- und Therapiemaßnahmen deckt. Das gilt auch für die Beendigung schon eingeleiteter lebenserhaltender Maßnahmen. Der Arzt soll Kranken, die eine notwendige Behandlung ablehnen, helfen, die Entscheidung zu überdenken...

- Liegen weder vom Patienten noch von einem gesetzlichen Vertreter 
Erklärungen vor oder können diese nicht rechtzeitig eingeholt werden, so hat der Arzt so zu handeln, wie es dem mutmaßlichen Willen des Patienten in der konkreten Situation entspricht. Der Arzt hat den mutmaßlichen Willen aus den Gesamtumständen zu ermitteln. Eine besondere Bedeutung kommt hierbei einer früheren Erklärung des Patienten zu. Anhaltspunkte für den mutmaßlichen Willen des Patienten können seine Lebenseinstellung, seine religiöse Überzeugung, seine Haltung zu Schmerzen und zu schweren Schäden in der ihm verbliebenen Lebenszeit sein. In die Ermittlung des mutmaßlichen Willens sollen auch Angehörige oder nahestehende Personen einbezogen werden."

(Reuters)

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