Faustischer
Pakt mit der Industrie
Wissenschaftler
als Marionetten der Wirtschaftsbosse
Forscher-Ethos kontra Firmeninteresse -
dieser Konflikt war Thema einer Tagung in Cambridge (USA), welche die amerikanische
Wissenschaftlervereinigung AAAS mitorganisierte. Anlaß: Immer mehr
Forscher bekommen immer öfters einen Maulkorb verpaßt. Mehr
und mehr finanzieren Unternehmen Forschungsprojekte an Universitäten
und zwingen Wissenschaftler, die Resultate geheimzuhalten. Ergibt etwa
eine Studie, daß ein Medikament nicht besser ist als das Konkurrenzprodukt,
dann hat der Geldgeber kein Interesse an der Veröffentlichung.
1,5 Milliarden Dollar jährlich
investieren US-Firmen in die Universitätsforschung; das entspricht
zwölf Prozent des Gesamtetats der amerikanischen Hochschulen, schätzt
Eric Campbell von der Havard Medical School in Boston. Am Massachusetts
Institute of Technologie bezahlt die Industrie fast 25 Prozent der
Forschung: vor 15 Jahren waren es erst fünf Prozent. Im Bereich der
"Life Sciences" erhalten laut Campbell 28 Prozent aller US-Forscher Mittel
von der Industrie. "Zwangsläufig wird mehr dort geforscht, wo kommerzielles
Interesse besteht." Und nicht immer machten die Forscher in ihren Vröffentlichungen
deutlich, wer die Studie finanziert habe.
Viele Wissenschaftler verfolgen
dabei persönliche finanzielle Interessen, hieß es in Cambridge.
Sie akzeptierten die Drittmittel, weil sie dann mit Gehaltserhöhungen
und mehr Forschungsgeldern aus dem regulären Etat rechnen könnten.
Daß praktisch jeder Wissenschaftler, der Geld von einer Firma erhält,
zwei bis drei Monate warten muß, bis er Ergebnisse veröffentlichen
darf, akzeptieren die meisten.
Auch in Deutschland " wächst
der Druck auf die Forscher, mit der Industrie zu kooperieren, weil sie
sonst häufig keine staatlichen Mittel erhalten", sagt Ulrike Beisiegel,
Professorin an der Universitätsklinik Hamburg.
Wird der Einfluß der Industrie
so groß, daß Wissenschaftler Daten verheimlichen, sind die
Nachteile oft erheblich: Hätte zum Beispiel die Pharmazeutin Betty
Dong von der Universität von Kalifornien in San Francisco ihre Studien-Ergebnisse
über Schilddrüsen-Medikamente früher publik machen dürfen,
hätten Versicherungen und Kranke 365 Millionen Dollar jährlich
gespart. Finanziert wurde ihre Forschung durch die Firma Boots,
die damals das am häufigsten verschriebene und teuerste Medikament
zur Heilung von Schilddrüsenerkrankungen herstellte. Nachdem Betty
Dong herausgefunden hatte, daß auch andere, billigere Präparate
genau so gut wirkten, erklärte man die Studie bei Boots für
fehlerhaft. Doch unabhängige Gutachter konnten keine Fehler finden.
Trotzdem kam es nicht zur Veröffentlichung, da die Wissenschaftlerin
einen Vertrag unterschrieben hatte, dies nur mit Erlaubnis der Firma zu
tun. Auch die Universität von Kalifornien verbat Dong die Veröffentlichung,
da sie einen kostspieligen Rechtsstreit befürchtete.
Die Geheimhaltung von Forschungsergebnissen
betrifft inzwischen vielfach auch Doktoranden, die Campbell zufolge "oft
nicht mehr miteinander reden dürfen, wenn sie von verschiedenen Instituten
kommen".
Quelle: SZ, 13.4.1999 |